Ich will einfach mal versuchen Euch eine kleine Geschichte mit verschiedenen GFK-Facetten zu erzählen. Ich hoffe, ich bekomme das so hin, dass sie Sinn ergibt, denn es ist eine persönliche Geschichte und einige Aspekte möchte ich hier nicht erzählen. Es geht um ohnmächtige Wut und die Wirkung von Empathie.
Ich war diese Woche mit meinem Sohn zur Eingewöhnung im neuen Kindergarten und er wollte dort partout nicht Mittag essen. Ich habe ihn gefragt, warum nicht und er meinte er habe keinen Hunger. Das habe ich ihm aber nicht geglaubt, ich wusste ja, wie viel er gefrühstückt hat… (wie sich später gezeigt hat, hatte ich Recht, aber darum geht es jetzt eigentlich gar nicht). Dann meinte er, er habe Angst vor den vielen Kindern dort in der Küche. Auch das konnte ich nicht wirklich verstehen. Und ich habe gemerkt, wie ich wütend wurde. So eine richtige kalte Wut, die mich immer mehr von meinem Sohn und seinen Bedürfnissen getrennt hat. Zuerst habe ich versucht mich zu beruhigen und die konfrontative Situation aufzulösen und habe mich ein wenig abseits gestellt und aus dem Fenster gesehen. Dann habe ich gemerkt, dass es mir gar nicht darum ging, mich zu beruhigen, sondern darum meinem Sohn die kalte Schulter zu zeigen. Ich wollte dass er sieht, wie sauer ich auf ihn bin. Ziemlich doof eigentlich... Irgendwann habe ich eingelenkt und bin in die Küche gegangen, um dem Erzieher Bescheid zu sagen, dass wir nicht mitessen. Und da hatte ich richtig Glück, denn der Erzieher hatte ein offenes Ohr für meine Sorgen und hat mir zugehört. Und durch diese Offenheit, diesen empathischen Resonanzraum, bin ich auch wieder in Kontakt mit meinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen gekommen. Ich habe gemerkt, wie viel Hilflosigkeit und Ohnmacht hinter meiner Wut steckt und wie sehr ich mich danach sehne, auf die gute Entwicklung meines Sohnes vertrauen zu können. Und dieses Vertrauen, dieses riesige Bedürfnis, machte sich in dem Augenblick nur daran fest, ob er sich traut dort Mittag zu essen oder nicht. Absurd, ich weiß… danach bin ich wieder zu meinem Sohn hingegangen und konnte ein bisschen besser darauf hören, was er braucht. Wir waren wieder in einem lebensdienlichen Kontakt.
An dieser Stelle mag ich einmal innehalten. Die Wendung in dieser Geschichte kam nicht dadurch zu Stande, dass ich eingesehen habe, wie doof es ist, meinem Sohn die kalte Schulter zu zeigen (ihn durch Missachtung/sich abwenden zu strafen) sondern durch die Zugewandtheit und Offenheit, die ich im Kontakt mit dem Erzieher erlebt habe. Diese spontane, empathische Begegnung hat mich wieder mit mir in Kontakt gebracht und hat es mir dadurch ermöglicht, mich wieder für meinen Sohn zu öffnen. Wie schön wäre es, wenn sich quasi hinter jeder Ecke so eine Person finden ließe, die mit der gleichen Zugewandtheit und Empathie auf die gerade so lebendigen Sorgen, die Ängste und die Hilflosigkeit hören würde. Es ist meine Vision, dass eine solche Zukunft durch die Verbreitung der GFK möglich ist.
Was dieser empathische Kontakt mir auch gebracht hat, ist Freiheit. Und zwar in folgendem Sinne: „Freiheit ist die Fähigkeit, eine Pause zu machen zwischen Auslöser und Reaktion“ (Rollo May). Bevor mich der empathische Kontakt wieder in eine Verbindung mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen hinter der Wut gebracht hat, war ich nicht frei in meiner Reaktion. Die Weigerung meines Sohnes führte zu kalter und ohnmächtiger Wut. In diesem Prozess gab es keinen Raum dafür, zu schauen, welche Bedürfnisse bei mir unerfüllt sind und welche Strategien angemessen wären, um sie zu erfüllen. Ein empathischer Kontakt kann genau diesen Raum eröffnen.
Aber nochmal zurück: woher kam eigentlich diese Ohnmacht? Was hatte es damit auf sich? Im Nachgang zu dieser ganzen Geschichte habe ich ein Zitat gefunden, das auf die Antwort hinweist:
„Wenn es etwas gibt, was wir an unseren Kindern ändern wollen, sollten wir es zuerst untersuchen und herausfinden, ob es nicht etwas ist, was wir besser in uns selbst ändern sollten.“ (C. G. Jung)
Und ein Teil meiner ohnmächtigen Wut lässt sich tatsächlich damit erklären. Ich will so unbedingt sehen, dass mein Sohn mutig ist und keine Angst vor unbekannten Situationen hat, weil eigentlich mir selbst dieser Mut fehlt und ich so oft Angst in unbekannten Situationen habe. Wenn ich sehe, wie viel Angst es ihm manchmal bereitet, wenn er den Eindruck hat, gegen Regeln zu verstoßen, die ihn in Konflikt mit fremden Menschen bringen könnten, dann hält er mir dadurch den Spiegel vor. Denn das sind oftmals auch meine Ängste. Ängste, deren Ursprung – so argumentiert der GFK-Trainer Gerhard Rothhaupt – in meinen eigenen kindlichen Ohnmachtserfahrungen liegen. Für die gegebene Situation kann ich sagen, dass ich seiner Interpretation zustimme.
Wenn ihr mehr zu ohnmächtiger Wut lesen wollt, wie sie in unserer Welt wirkt und wo wir ihr überall begegnen, dann findet ihr hier einen Text von Gerhard Rothhaupt zu GFK, Trauma und ohnmächtiger Wut.
Ich hadere noch ein bisschen mit der Geschichte, so wie ich sie Euch erzählt habe. Im Unterschied zu den anderen Stories im Blog, hat sie nicht so richtig ein konkretes, anwendbares Takeaway. Vielleicht will ich Euch einfach nur Mut machen, mit der GFK weiter zu gehen, denn auch wenn ich noch lange nicht so weit bin, in jeder gegebenen Situation meine Reaktion in Freiheit zu bestimmen, so denke ich doch, dass ich dank der GFK auf dem richtigen Weg bin. Dazu abschließend noch ein Zitat:
„Der Test für den ‚richtigen‘ Weg: Lässt dein Tun deine Liebe wachsen, so bist du auf dem richtigen Weg, vermindert es sie, so entfernst du dich von ihm.“ (nach einer indischen Weisen, verändert von Gerhard Rothhaupt [1]).
[1] https://www.visionenundwege.de/uber-mich/philosophie-in-zitaten-2/